Unser spiritueller Aufstieg

Spiritueller Aufstieg

Aus einem Gespräch in Chianciano Terme (Italien, 16. Februar 1991)[1]

„Neulich las ich einige Bücher darüber, wie die Selbst-Verwirklichung und das Wissen über den Geist weitergegeben und die Menschen gequält wurden.

Als erstes sollte man den Körper irgendwie verleugnen, sich über ihn hinwegsetzen und ihn verdammen. Wollte es der Körper bequem haben, so sollte man auf dem Teppich und nicht im Bett schlafen. Reichte das nicht aus, wechselte man vom Teppich auf eine Matte und legte sich letztlich zum Schlafen auf Mutter Erde. Hatte man den Körper dann immer noch nicht, wo man ihn haben wollte, sollte man auf Steinen schlafen. Doch der Himalaja mit Shivas Wohnsitz auf dem Kailash war immer noch weit weg. Also sollte man sich in den Himalaja begeben und auf dem Eis schlafen. Das war das Mindeste.

Wenn man gutes und reichhaltiges Essen mochte, so hieß es weiter, sollte man ganz darauf verzichten. Italiener etwa dürften dann keine Pasta mehr essen. Doch das war immer noch nicht genug und man begann, sehr bittere Dinge zu essen. So wie im Zen-Buddhismus, wo man den Leuten Essen gibt, das etwa 108 Mal bitterer als Chinin ist – oder extrem süß. So soll der Geschmackssinn unter Kontrolle gebracht werden.

Doch dann war da noch der Bauch. Deshalb hieß es, dass man einen Tag fasten sollte, wenn man zu viel isst. War das nicht genug, fastete man sieben und dann 40 Tage lang. Ein Monat hat nur 30 Tage und nach 40 Tagen war man am Ende. So sollte man Buße für das Nirvana tun. In der Tat erlangt man so das Nirvana, da man am Ende ist und stirbt. Es bleibt nichts außer Knochen von einem und diese Knochen werden Nirvana. Wenn man Ende ist, folgt der Tod und dann kommt das Nirvana – kein Zweifel.

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Man sollte auch nicht in einem Haus wohnen, denn das bedeutet Bequemlichkeit. Frau, und Kinder und alle anderen sollte man ebenfalls verlassen und nur noch einen Stoffwickel tragen und um Almosen betteln. Doch selbst dieses Stück Stoff war noch problematisch, weil es immer noch eine Art von Gebundenheit darstellte. Also sollte man in den Himalaya gehen und sich, wo einen niemand sah, ganz ausziehen und zitternd in der Kälte stehen. Dann erreichte man angeblich sein Nirvana.

All das diente dazu, körperliche Bedürfnisse abzutöten – fürs Erste. Sag deinem Körper: ‚Nichts da! Kümmere dich besser um dein Nirwana.‘

Es beginnt im Herzen und bewegt sich zum Gehirn – etwas, was aus eurer Erfahrung der Freude entsteht und euer Gehirn bedeckt.
Deshalb kann das Gehirn es nicht mehr verleugnen.
Besonders für die Menschen des Westens ist es wichtig, jetzt ihre Herzen zu öffnen. Denn es beginnt im Herzen und nicht im Gehirn.

Als nächstes versuchte man, die Gedanken auszulöschen, die zu den Sinnen und zu Freude bereitenden Dingen führen. Falls man sich etwas sehr intensiv wünschte, dann sollte man es verleugnen. Zu allem, was von eurem Verstand kommt, sagt ihr: ‚Nein, nein, nein.‘ Auf Sanskrit lautet der Shloka, also der Vers dafür: ‚Yan neti neti vacanair nigama avocuh.‘ – ‚Neti, neti. – Nein, nicht das, nicht das, nicht das, nicht das.‘

Und erst dann konnte man über das Nirvana diskutieren – ja nur diskutieren. Vorher war man der Diskussion darüber nicht einmal würdig. ‚Ach du meine Güte‘, dachte ich. ‚Ich gebe auf. Das ist mir zu viel.‘

In Sahaja Yoga ist es genau andersherum. Zuerst wird die Spitze des Gebäudes errichtet und dann das Fundament. Das Öffnen des Sahasraras war die erste Errungenschaft.

Im Licht des Sahasraras könnt ihr euch beobachten und selbst sehen. Allmählich verbessert sich die Introspektion und mit Hilfe der Vibrationen könnt ihr feststellen, warum ihr etwas wollt: "Warum richtet sich meine Aufmerksamkeit auf Bequemlichkeit, aufs Essen, auf meine Familie, meine Kinder, wenn ich das Höchste erreichen will?" So beginnt ihr, Innenschau zu halten. Dann erkennt ihr anhand der Vibrationen, dass etwas nicht mit euch stimmt. Ihr versucht nicht, Fehler bei anderen zu finden, sondern seht euch selbst. Denn es ist euer eigener Aufstieg, den ihr erreichen müsst.

In den alten Zeiten fand dies alles auf individueller Ebene statt. Sobald jemand den Pfad zum Nirvana betrat, suchte er normalerweise Ekant, also einsame Orte. Er blieb den Menschen fern, ging ihnen aus dem Weg und hatte nichts mit ihnen zu tun. Er erlangte seinen Aufstieg, seine Selbst-Verwirklichung nur für sich selbst und nicht für andere. Dann wurde so jemand absolut exklusiv: Er sprach mit niemandem, traf niemanden und saß irgendwo auf dem Gipfel eines entlegenen Berges. Wenn jemand versuchte, zu ihm zu kommen, bewarf er ihn mit Steinen oder beschimpfte ihn auf jede erdenkliche Weise – nur um ihm nicht zu begegnen.

Doch Sahaja Yoga ist anders. Hier geht es um den Aufstieg des Ganzen. Errungenschaften von Einzelnen in früheren Zeiten führten die Menschheit nirgendwohin. Natürlich versuchten Heilige, von der Selbst-Verwirklichung und von Gott, über Rechtschaffenheit oder ein Wertesystem zu sprechen. Doch man fand sie seltsam, und sie wurden gequält und belästigt.

Vor Sahaja Yoga konnten sie für den individuellen Aufstieg anderer nichts tun, außer darüber zu reden. Doch sogar darüber zu sprechen, war verboten. Bis zum 12. Jahrhundert sprach in Indien niemand öffentlich darüber. Alles war in schwer verständlichen Büchern auf Sanskrit niedergeschrieben, die nur wenigen Anwärtern zur Verfügung standen. Nur sehr wenigen wurde überhaupt etwas erklärt und die Selbst-Verwirklichung wurde ihnen verweigert.

Jakobsleiter des spirituellen Aufstiegs
(William Blake)
Jakobsleiter des spirituellen Aufstiegs (William Blake)

Ein Meister hatte jeweils nur einen Schüler, und der individuelle Aufstieg war alles. Solch ein Schüler wurde von anderen getrennt, niemand wusste von ihm und man arbeitete mit ihm. Vielleicht konnte er dann über die Selbst-Verwirklichung singen, Gedichte schreiben, darüber sprechen oder seine Freude darüber ausdrücken – doch weder hatte er das Recht, sie weiterzugeben, noch wusste er, wie man das tut.

Seht also, wie weit ihr gekommen seid. Ihr habt eure Selbst-Verwirklichung erhalten, ohne viel aufzugeben. Ihr könnt in viel größerem Rahmen arbeiten und sie an andere weitergeben. Ihr kennt das subtile Wissen Sahaja Yogas.

Shankaracharya etwa schrieb eine schöne, als Viveka Chudamani bekannte Abhandlung. Darin erklärte er unter anderem, was Gott ist. Viveka bedeutet “Bewusstsein”. Er beschrieb alles ziemlich genau. Doch ein fürchterlicher Mann namens Sarma begann mit ihm zu streiten, sodass er schließlich die Nase voll hatte: "Es hat keinen Sinn, mit ihnen zu reden."

So schrieb er einfach Saundaryalahari, eine Sammlung von Mantras zu Ehren der göttlichen Mutter: "Ich kenne die Mutter", sagte er. "Nun lasst mich sie loben. Was macht es für einen Sinn, mit diesen Leuten zu reden? Diese Dummköpfe werden es nie begreifen, denn sie besitzen weder die Auffassungsgabe und das notwendige Feingefühl."

Shri Mataji spricht über Spiritualität
und Sahaja Yoga
Shri Mataji spricht über Spiritualität und Sahaja Yoga

Wahres Wissen ist das Wissen, was Gott ist. Und wenn es Gott ist, wie kann man dann Zweifel hegen oder versuchen zu analysieren? Es ist Gott, der Allmächtige, der alles weiß, alles tut und alles genießt.

Man kann es als Gyana bezeichnen, als wahres und reines Wissen. Es sind nicht die Kenntnisse über die Chakren, nicht das Wissen über Vibrationen, über die Kundalini, sondern das Wissen über Gott den Allmächtigen. Und das Wissen über ihn ist nicht mental.

Erneut sage ich euch: Es beginnt im Herzen und bewegt sich zum Gehirn – etwas, was aus eurer Erfahrung der Freude entsteht und euer Gehirn bedeckt. Deshalb kann das Gehirn es nicht mehr verleugnen.

Nehmt zum Beispiel eure leibliche Mutter. Ihr kennt ihre Liebe. Doch ihr könnt sie nicht erklären. Es kommt aus eurem Herzen. "Nein, das ist meine Mutter", sagt ihr. "So würde sie sich nicht verhalten. Ich kenne meine Mutter sehr gut." Es ist das Wissen über eure Mutter, die euch geboren hat – selbst, wenn sie vielleicht keine so gute Mutter ist.

Doch das Wissen über Gott – dass er Liebe und Wahrheit ist und alles weiß –, das alles wird ein fester Bestandteil eures Wesens; und das nennen wir Nirwana.

Deshalb ist es besonders für die Menschen im Westen wichtig, dass sie ihre Herzen öffnen. Denn es beginnt im Herzen, nicht im Gehirn.

[1] Chianciano Terme, 16. Februar, 1991